Rekava
von Lester James Peries
Sri Lanka, 1956
Programm:
Kino Nach der Befreiung
Dieser Text basiert auf ein Gespräch mit Sumitra Peries am 7. Juni 2022.
über den film
Rekava ist ein Klassiker aus Sri Lanka (die damalige Dominion Ceylon) von Lester James Peries. Die Geschichte spielt in einem srilankischen Dorf und erzählt von Sena, ein Junge und Heiler, und den sozialen Spannungen, die seine Fähigkeiten mit sich bringen. Eingebettet im Neo-Realismus, der sich in den 1950er Jahren über ganze Kontinente im Kino entwickelt hatte, spiegelte Rekava einen Teil von Sri Lanka wider, der zuvor noch nicht gezeigt wurde.
Lester "gilt als Vater des singhalesischen Kinos, weil Rekava der erste von zehn großen Filmen war, die damals in Sri Lanka gedreht wurden", erklärt Sumitra Peries, die Frau des verstorbenen Regisseurs Lester James Peries. Der Titel ‘Vater des singhalesischen Kinos’ verweist insbesondere auf die sich wandelnde Bedeutung des Begriffs singhalesisch an. "Singhalesisch war damals nur eine Sprache", erklärt Sumitra. Sri Lanka hatte noch keine lokalen Praktiken des Filmemachens entwickelt. "Der gesamte Schauspielstil, die Kostüme, alles war südindisch... Rekava war der erste Durchbruch."
Rekava wurde auf internationalen Filmfestivals hoch anerkannt. "Er wurde auf dem Festival von Cannes gezeigt und kam sehr gut an", sagt Sumitra. "Auch in Russland und einigen anderen Ländern lief er gut." Die Arbeit ihres Ehemannes, der in Sri Lanka sehr beliebt ist, inspirierte sie zum Teil dazu, später selbst Filme zu drehen. "Rekava ist immer noch ein geliebter Klassiker unseres Kinos - der Geschichte unseres Kinos."
Als Rekava herauskam, waren Politiker*innen dagegen, dass der Film öffentlich gezeigt wird, da sie glaubten, dass er nicht das idealisierte Bild des Dorflebens, das sie sehen wollten, widerspiegelt. "Sie sagten, es gäbe böse Menschen und im Dorf gäbe es aber keine bösen Menschen", erklärt Sumitra. Die in Rekava dargestellte Gewalt zeichnet jedoch die gegenwärtigen Gewalterfahrungen in Sri Lanka ab. "Heute gibt es viel Gewalt", fährt Sumitra fort, "durch äußere Faktoren, wie den Drogenkonsum, hat die Brutalisierung der Gesellschaft zugenommen, und die Menschen sind nicht mehr tolerant, sie wollen schnelle Lösungen und nehmen das Gesetz selbst in die Hand, deswegen gibt es viel Gewalt. Vielleicht gibt es auch viel Ungerechtigkeit, weil die Bevölkerung wächst und die wirtschaftlichen Bedingungen ungünstig sind. Die Menschen hegen also eine Menge Groll gegen die Herrschaft, die uns regiert, aber wir - die gesamte Gesellschaft - müssen achtsam sein.”
Die in Rekava gezeigte Gewalt widerlegte in gewisser Weise das idealisierte Bild der srilankischen Dorfbewohner als sanft und fügsam. Aber sie forderte auch eine konventionelle Darstellung des Dorflebens außerhalb Sri Lankas heraus. "Selbst Satyajit Rays Figuren waren sanftmütige, gute Menschen - in Pather Panchali und so weiter", vermutet Sumitra. "Aber unsere Rekava-Charaktere waren [anders] - der Vater war prinzipienlos, die Mutter kämpfte für ihre Rechte, um ihr Kind zu verteidigen, und der kleine Junge wurde von ihnen benutzt. All diese Symbole waren nicht Teil der damaligen Gesellschaft - vielleicht war es eine Projektion der Zukunft."
historischer kontext
Als Rekava herauskam, war Sri Lanka noch als Ceylon benannt. Das Land war seit 1505 unter europäischer Kolonialherrschaft und seit 1796 unter britischer Herrschaft. Zuvor bekannt als Kolonie Ceylon, erlangten die Menschen 1948 als Dominion of Ceylon die Unabhängigkeit von Großbritannien und wurde somit Teil des Commonwealth. Sri Lanka erhielt erst 1972 seinen heutigen Namen.
"Der singhalesische Film wurde nur ein Jahr vor der Unabhängigkeit geboren, ich glaube 1947. Und zu dieser Zeit kamen die meisten Filme aus dem Parsi-Theater in Indien, mit einem sehr theatralischen und künstlichen Schauspielstil. Rekava kam als eine frische Darstellung des wirklichen Lebens. Ich glaube, die Leute schätzen das immer noch sehr und sehen es als Maßstab des Realismus."
In Bezug auf die Gewalt der Kolonialzeit sagt Sumitra: "Ich glaube, die Menschen hofften auf eine gerechtere Gesellschaft, aber Großbritannien teilte und herrschte, und teilten uns mehr als irgendjemand sonst. Die singhalesische Bevölkerung sowie die nördliche Hälfte waren in viele ‘Ismen’ gespalten - Kaste, Muslime."
Die Auswirkung dieser Gewalt ist bis heute noch in Sri Lanka zu spüren. "Es wäre einfach für mich, hier zu sitzen und diese Dinge mitzuteilen, aber die Menschen, die da draußen leben müssen und Nahrung für ihre Familien finden müssen... solche Dinge sind nicht einfach."
Die gewalttätige Realität, die Rekava spiegelt die grausame sozioökonomische Realität des heutigen Sri Lanka wider. "Die Realität ist heute hässlich. Es gibt keine Poesie mehr in der Realität."
Aber gerade hier ist das Filmemachen als erzählerische Praxis, als Werkzeug der sozialen Vorstellungskraft, weiterhin von Bedeutung. "Wie kann man ein Bild malen, das es nicht gibt? Also muss man auf die Mythologie oder eine Traumwelt mit symbolischen Figuren zurückgreifen und vielleicht hoffen, dass wir etwas Sinnvolles tun."
über die/den regisseur*in
Lester James Peries wurde 1919 in einer streng katholischen Familie in Colombo, Ceylon, geboren. Vor dem Filmemachen, arbeitete Peries als Journalist und engagierte sich in den 1940er Jahren im Theater. Er lebte und arbeitete von 1947 bis Anfang der 1950er Jahre als Journalist in England, und kehrte dann nach Sri Lanka zurück, um seinen ersten Film, Rekava, zu drehen.
Neben Rekava war auch sein Film Gamperaliya (1964) ein großer Erfolg, den er mit der Hilfe seiner Frau Sumitra Peries drehte.
"Ich glaube, er wollte sich mit den Menschen in Sri Lanka identifizieren", sagt Sumitra. Beide waren selbst anerkannte Filmemacher und arbeiteten gemeinsam an der Entwicklung von Filmen, die auf realistischen Traditionen beruhen. "Ich glaube, unser Engagement für das Filmemachen und die Freude, die es uns bereitete, kamen daher, dass wir einen Film drehten oder einrichteten, über einen Film sprachen oder an einem Film arbeiteten. Das war es, was uns beiden die Energie gab, weiterzumachen.
Lesters Engagement für das menschliche Leben war ein Markenzeichen seines Schaffens. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stand stets die menschliche Erfahrung. "Ich glaube, zu dieser Zeit waren ethnische Fragen noch nicht so sehr in den Vordergrund gerückt. Die Menschen lebten wie Menschen, es war wichtig, menschlich zu sein und freundlich zu einem anderen Menschen zu sein. Menschlichkeit war das Wichtigste. Sie überwindet alle Grenzen von Kaste, Glaube, Sprache und so weiter. Ich glaube also, dass er sich mit den größeren Seelen der Menschen beschäftigte. Und nicht mit peripheren Dingen wie religiösen Spaltungen. Er hat immer buddhistische Filme gemacht, aber keine katholischen Filme. Ich weiß nicht, warum."
Anstatt die ethnische Vielfalt des Landes abzubilden, konzentrierte sich Lester auf die Dinge, die er kannte und auf das Leben, das er kannte. "In seinem Fall geht es um das Dorfleben, die menschliche Erfahrung. Er kannte vor allem das singhalesische Volk. Er machte Kino über die Menschheit."
über Sumitra Peries
Sumitra Peries wurde 1934 in einem Vorort, 30 km außerhalb von Colombo, geboren. "Als ich aufwuchs, gab es kaum ein Kino.
Nach dem Studium in Frankreich, wo sie ihren zukünftigen Ehemann Lester kennenlernte, ging Sumitra nach London, wo sie Ende der 1950er Jahre an der London School of Film Technique studierte. "Ich war das einzige Mädchen, zu dieser Zeit, von der ganzen [Abteilung] und allen Studierenden, war ich das einzige Mädchen. Ich fühlte mich damals privilegiert."
Ihr erster Auftrag als Filmcutterin kam von Lester Peries, der sie bat, als Regieassistentin mit ihm in Sri Lanka zu arbeiten. "Ich war drei oder vier Jahre lang in Europa gewesen. Ich sehnte mich danach, wieder nach Hause zu kommen."
Sumitra ist bekannt für ihre realistischen Filme, in denen sie die sozialen Bedingungen des Lebens in Sri Lanka darstellt, mit besonderem Fokus auf die Erfahrungen von Frauen. Da Sumitra aus einer buddhistisch-marxistischen Familie stammt, sind ihre Filme voll von Anspielungen auf die soziopolitischen Verhältnisse des Landes.
Trotz dieser eindeutigen Vorliebe sagt Sumitra: "Ich glaube nicht daran, das Medium als politisches Werkzeug zu nutzen. Denn ich denke, es sollte implizit sein, nicht explizit...ich bin an sich keine Sozialreformerin. Aber ich bin bis zu einem gewissen Grad eine emotionale Reformerin. Emotional möchte ich sie auf die eine oder andere Art berühren." Ihre Werke Gehenu Lamai (1978), Ganga Addara (1980) und Yahaluvo (2007) zeigen die soziale und emotionale Kraft ihrer Arbeit.
Dieser Text wurde von Priyanka Hutschenreiter geschrieben.